Qigong und körperorientierte Verfahren
Meiner Erfahrung nach kann es in manchen Fällen sehr sinnvoll sein, körperorientierte Verfahren (wie z.B. Qigong, Atemübungen, Übungen zur Körperwahrnehmung, zur Achtsamkeit oder zum Ausdruck von Gefühlen) auch in die Beratung oder Psychotherapie mit einzubeziehen.
Dies halte ich z.B. für sinnvoll,
- wenn man im Gespräch an einen Punkt kommt, an dem man mit Reden oder mit dem bewussten Verstand alleine „irgendwie festhängt“ und nicht weiter kommt.
- bei Menschen, die von den „klassischen“ Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder Muskelentspannung nach Jacobson nicht profitieren konnten. Menschen, die schon seit langer Zeit sehr angespannt sind (z.B. aufgrund von Schmerzen, Ängsten oder Stressbelastungen), berichten oft, dass sie „fast die Wände hochgehen“ und ihre innere Unruhe erst richtig spüren, wenn sie sich hinlegen und Tiefenentspannung machen sollen. Diesen Menschen fällt es oft leichter, über einfache, alltagsnahe Atem- oder Achtsamkeitsübungen oder auch über die Bewegung in einen entspannten Zustand zu kommen, wie dies z.B. im Yoga, Taijiquan oder Qigong möglich ist.
- bei Menschen, die in der Beratung oder Psychotherapie auch daran arbeiten möchten, das Körpergefühl, die Körperwahrnehmung, das „im eigenen Körper Sein“ zu verbessern. Dies kann z.B. bei Schmerz- und Stressproblemen, Ess-Störungen, schweren Traumata und dissoziativen Störungen von großer Bedeutung sein.
- als Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen neue Erfahrungen machen zu können (z.B. sich klar und wirksam abgrenzen und nein sagen, bisher „verbotene“ Gefühle wahrnehmen und ausdrücken, Körpersprache verändern).
Qigong ist neben der Akupunktur und weiteren Verfahren eine der Säulen der traditionellen chinesischen Medizin. Die Übungen gehen auf eine Jahrtausende alte Tradition zurück und enthalten immer die drei Aspekte der Körperhaltung oder -bewegung, der Atmung und der Vorstellungskraft.
Übungen in Ruhe sind manchmal den westlichen Entspannungsverfahren (vor allem dem Autogenen Training) bzw. den Selbsthypnosetechniken sehr ähnlich und enthalten oft sehr ansprechende, poetische Vorstellungsbilder. Es gibt auch eine ganze Vielzahl von bewegten Übungen mit unterschiedlicher medizinischer Zielsetzung und unterschiedlichen körperlichen Anforderungen, wobei die „ganz einfachen“ Übungen manchmal die mit der tiefgreifendsten Wirkung sind (eine der wichtigsten Grundübungen des Qigong ist z.B. das „Stehen wie ein Baum“).
Ich sammle selbst seit vielen Jahren Erfahrungen mit Taijiquan (auch als „chinesisches Schattenboxen“ bekannt, d.h. eine Kampfkunst mit sehr langsamen, meditativen Bewegungen), Qigong und anderen Bewegungskünsten. Dabei konnte ich immer wieder erleben, wie tiefgreifend und berührend diese Erfahrungen sein können, und wie eng das körperliche und das psychische Erleben oft miteinander verknüpft sind. Auch spezielle Fortbildungen zum Einsatz körperorientierter Verfahren in der Psychotherapie haben meine Arbeit sehr bereichert.
Sabine Ecker: Zuhause im eigenen Körper. Strategien für eine lebendige Körperwahrnehmung (Beltz-Verlag 2015, 197 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-621-28220-8).
Dieses Buch richtet sich an Menschen, die ihr Körpergewahrsein verbessern, sich in ihrer Haut wohler fühlen und eine liebevollere Beziehung zum eigenen Körper entwickeln möchten. Neben allgemeinverständlich formulierter Grundlageninformation (z.B. kleine Ausflüge in die Wahrnehmungs- und Entwicklungspsychologie, Überblick über Methoden, mit denen man die eigene Körperwahrnehmung systematisch trainieren kann) enthält es auch eine breit gefächerte Auswahl von praktischen Tipps und Übungen zum Ausprobieren, z.B. zu den Bereichen Atmung, Körperhaltung, Regulation von Spannung und Entspannung, Umgang mit Gefühlen, liebevolle Selbstzuwendung. Jeweils eigene Kapitel widmen sich auch den Themen chronischer Schmerz, Sexualität und Traumata. Nähere Information finden Sie unter: www.beltz.de/produkt_produktdetails/15052-zuhause_im_eigenen_koerper.html